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Literaturwissenschaftsseminare > Dichtkunst > 1 Einführung

Streifzug durch die Dichtkunst
Begegnungen mit Blake, Goethe, Tennyson, von Droste-Hülshoff u. a.

Kurzzusammenfassung zur Seminarnachbereitung
Veranstaltung im Kontaktstudium der Universität Hamburg im Sommersemester 2022 (online)

 

1 Dichtkunst – eine Einführung

Der Begriff „Dichtkunst“ oder „Dichtung“ bezeichnet das literarische Produkt (z. B. „das Gedicht“) ebenso wie den künstlerischen Schaffensprozess (v. a. im Bereich der Lyrik), umfasst aber im erweiterten Sinn neben der Literatur auch Kunstformen wie Musik und Malerei. Die Lyrik ist ein Teil der Gattungstrias aus Epik, Lyrik und Dramatik (Drama), die in dieser Form auf der postum veröffentlichten Poetik des Aristoteles (384-322 v. Chr.) beruht. Diese Aufteilung wird in der literaturwissenschaftlichen Forschung immer wieder neu diskutiert und verhandelt, ist jedoch bis heute Grundlage der Klassifizierung von Texten und der feineren Definition und Ausbildung literarischer Gattungen.

Ein Gedicht ist grundsätzlich nicht (nur) durch das Vorhandensein von Reimen definiert, sondern unterscheidet sich von anderen Textgenres auch in den Aspekten der Raumgestaltung, der Figuren, der Stimmung und der verwendeten Sprachebene (natürlich, artifiziell, poetisch, klagend usw.). Metrum bzw. Rhythmik geben Hinweise auf Bezugnahmen innerhalb des Textes und verleihen diesem eine klingende Qualität, die anderen Textarten fehlt; gleiches gilt für Reimschema und/oder Versmaß. Ein wichtiger Aspekt in der Interpretation eines lyrischen Textes ist daher gerade auch die Berücksichtigung von Brüchen in den vorgenannten Punkten, da diese die Wahrnehmung der Inhalte nachhaltig, wenn auch oft unterschwellig, beeinflussen. Sie besitzen daher eine mindestens ebenso hohe interpretative Aussagekraft wie die regulären Textmerkmale selbst.

Damit ein Dichter einem Rezipienten einen Inhalt vermitteln kann, benötigen beide eine Art „gemeinsamer Sprache“, die Grundvoraussetzung für das Verständnis und daraus abgeleitet die Interpretation eines Textes ist. Das Textverständnis resultiert dabei aus der Schnittmenge der sprachlichen Erfahrungshorizonte beider Teilnehmer dieser Kommunikation. Der Überhang, der auf beiden Seiten nicht Teil der Schnittmenge ist, kann dazu führen, dass bestimmte Teile der Intention des Dichters dem Rezipienten verborgen bleiben, während gleichzeitig der Rezipient dem Text Aussagen entnehmen kann, die der Dichter weder intendiert hat bzw. die ihm vielleicht auch nicht als Möglichkeit bewusst sind. Anhand dieser Überlegung lässt sich anschaulich nachvollziehen, warum erstens die Textinterpretation des Autors selbst weder die einzig gültige noch für den Rezipienten immer nachvollziehbar oder zufriedenstellend ist oder sein muss und warum zweitens der Rezipient eine eigene, vom Autor unabhängige bzw. diesem sogar widersprechende Interpretation aufstellen kann, ohne dass diese weniger Bedeutung oder Gewicht hat als die des Dichters. Auch unterschiedliche Assoziationen zu den im überlappenden Bereich liegenden Aussagen können zu verschiedenen Interpretationen führen. Ausschlaggebend ist stets, dass die interpretativen Aussagen am Text belegbar seien müssen.

 

Abb. 1 Dichter und Rezipient müssen eine überlappende Sprachkompetenz besitzen, damit ein Textverständnis möglich ist. Interpretative Varianten ergeben sich z. T. aus den nicht überlappenden Bereichen und verstärken die potenzielle Vielschichtigkeit und Variabilität der Analyse. Grafik: KL

 

Über diese inhaltlichen Aspekte hinaus können der zeitliche Kontext der Entstehung eines Textes sowie die Biografie seines Autors eine wichtige Rolle spielen, sie müssen jedoch nicht zwangsläufig für eine Analyse herangezogen werden. Unabhängig von ihnen besitzen Texte eine ihnen eigene inhärente Aussagekraft.

 

Instrumente der Lyrikanalyse

Reime lenken die Aufmerksamkeit des Rezipienten und strukturieren den Text. Sie schaffen Sinnzusammenhänge und verleihen dem Text seine Rhythmik.

 

Tab. 1 Verschiedene Reimschemata mit Beispielen. Identische Farben zeigen Reimwörter an.

 

Das gewählte Metrum befördert die Rhythmisierung und Stimmung des Textes. Jambus und Trochäus sind besonders eingängige Formen und können leicht auch im mündlichen Vortrag eines Textes identifiziert werden.

 

 

Die Kadenz (stets am Ende einer Zeile) kann als männliche, weibliche oder reiche Kadenz vorliegen. Bei der männlichen Kadenz ist die letzte Silbe eines Verses betont (s. o. beim Beispiel für die Anapäst), bei der weiblichen Kadenz ist die letzte Silbe unbetont (wie in den Beispielen für Jambus, Trochäus und Daktylus). Die reiche Kadenz zeichnet sich dadurch aus, dass mehrere unbetonte Silben das Versende bilden. Die unterschiedlichen Wirkungen der Kadenzvarianten haben wir im Seminar an Beispielen besprochen.

Abschließend haben wir uns intensiv mit Joseph von Eichendorffs Gedicht „Nacht“ (um 1841) auseinandergesetzt. Neben inhaltlichen Schwerpunkten (wie Überlegungen zum Begriff der „Nacht“) wurden dabei erstmals die oben besprochenen Instrumente zur Textanalyse verwendet.

 

⇒ 2 Romantische und pastorale Dichtung, Naturlyrik