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Ägyptologie-Seminare > Tutanchamun > 1 Erbe der Amarna-Zeit

Tutanchamun – Die Rückkehr zum alten Glauben / Nach Amarna: Tutanchamun und die Zeit der Restauration

Kurzzusammenfassung zur Seminarnachbereitung
Veranstaltung im Kontaktstudium der Universität Hamburg im Sommersemester 2017 und im Wintersemester 2020/21

 

1 Einführung und historischer Hintergrund: Das Erbe der Amarna-Zeit

Aus einem religionswissenschaftlichen Blickwinkel sind die insgesamt nur rund 20 Jahre umfassende Amarna-Zeit und die sich anschließende Zeit der Restauration, die primär unter Tutanchamun erfolgte, einer der spannendsten Abschnitte in der mehr als 3000jährigen Geschichte des Alten Ägypten. Vor und nach der Amarna-Zeit verehrten die Alten Ägypter ein umfangreiches Pantheon, zu dem mehrere hundert Götter gehörten. Manche von ihnen waren nur von lokaler Bedeutung, andere, wie der Sonnengott Re, die Schöpfergötter Ptah, Chnum oder Atum, der Totengott Osiris, seine zauberkundige Schwester-Gemahlin Isis oder natürlich der mächtige Reichsgott Amun, der in der henotheistisch geprägten späteren Phase des Neuen Reiches an der Spitze der Götterschar stand, waren von zentraler Bedeutung für das Wohlergehen jedes Einzelnen ebenso wie des ägyptischen Staates als Ganzem. Horus, der falkenköpfige Sohn des Osiris und der Isis, symbolisierte das irdische Königtum und inkarnierte sich nach Vorstellung der Alten Ägypter in jedem regierenden Pharao, während der zwielichtige Seth, der im Osiris-Mythos als Mörder des Osiris gebrandmarkt wird, ambivalent zwischen den Polen Gut und Böse zu changieren scheint, da er im Sonnenmythos als machtvoller Kämpfer auf Seiten des Sonnengottes auftritt.

Gegen dieses mehr als 1500 Jahre gewachsene religiös-mythologische System wandte sich Pharao Echnaton, der vermutliche Vater Tutanchamuns, mit seiner heute als „Amarna-Revolution“ bezeichneten religiösen, aber zugleich auch politisch-gesellschaftlichen Umkehr. Echnaton negierte die alten Götter und erhob Aton, die Sonnenscheibe, zum alleinigen Gott. Die Details seiner neuen Religion kennzeichnen diese als ersten bekannten Monotheismus der Menschheitsgeschichte. Echnaton verließ mit seiner Familie, seinem Hofstaat und einem großen Teil der gesellschaftlichen Elite die Hauptstadt Theben und gründete im kargen Niemandsland Mittelägyptens, auf unberührtem Boden, eine neue Hauptstadt, der er den Namen Achet-Aton (Horizont des Aton) gab. Dort wurde, vermutlich um 1342/41 v. Chr., Tutanchamun auf dem Höhepunkt des Aton-Kultes geboren. Sein Name lautete damals noch Tutanchaton, was übersetzt so viel bedeutet wie „Lebendes Abbild des Aton“.

Die neue Religion verlangte den Gläubigen einiges ab: Die Tempel der bisherigen Götter wurden geschlossen, die Priesterschaften entlassen. Die alten Götterbilder wurden abgeschafft und durch Darstellungen sehr intim wirkender Familienszenen der königlichen Familie ersetzt. Deren Verehrung sowie die Treue gegenüber Echnaton und seiner Großen Königlichen Gemahlin Nofretete traten an die Stelle der bisherigen Götterverehrung. Eine individuelle Gottesansprache war im Aton-Kult nicht mehr möglich, denn Echnaton hatte sich zum alleinigen Sprachrohr und Mittler Atons gemacht. Der Jenseitsglauben, seit Beginn der pharaonischen Kultur der zentrale Dreh- und Angelpunkt der altägyptischen Religiosität, erfuhr eine radikale Verdiesseitigung: War das Jenseits im Alten Reich bei den „unvergänglichen Sternen“ am nördlichen Nachthimmel lokalisiert, zur Zeit des Mittleren Reichs im sogenannten „schönen Westen“ und schließlich im Neuen Reich in der Unterwelt, so schaffte der Aton-Kult diesen Raum, in dem der Totengott Osiris herrschte, beinahe ersatzlos ab. Die Fortexistenz der Verstorbenen wurde in den diesseitigen, begrenzten und überschaubaren Raum des Großen Aton-Tempels in Achet-Aton verlegt, wo die Toten, ähnlich Geisterwesen, tagsüber unter den Lebenden gegenwärtig sein sollten. Die Nacht war im Aton-Kult hingegen eine Zeit der Erstarrung und der Gottesferne. Die Verstorbenen konnten zwar an den Kulthandlungen zur Verehrung Atons sowie an den Speise- und Trankopfern partizipieren, doch darüber hinaus scheint ihre jenseitige Existenz die Fülle und Vielschichtigkeit früherer Jenseitsvorstellungen vermissen zu lassen. Eingang in dieses neue „Totenreich“ erhielt, wem die „Gnade des Pharao“ zuteilwurde – Echnaton usurpierte damit in gewisser Weise die Rolle des Osiris und unterstrich seine überragende Bedeutung im neuen Kult und seine nicht nur gottgleiche, sondern tatsächlich göttliche Person. Eine Weile schien Echnaton mit seiner Revolution Erfolg beschieden zu sein: Zur Zeit der Geburt Tutanchatons war Achet-Aton das intellektuelle und künstlerische Zentrum Ägyptens.

Für das schließliche Scheitern des Aton-Kultes lässt sich eine Reihe von Erklärungen anführen: Der ebenso abrupte wie kompromisslose Wechsel vom Poly- zu Monotheismus war vermutlich eine Überforderung für die altägyptische Gesellschaft genauso wie für den einzelnen Gläubigen. Rückblickend wird die Amarna-Zeit in zeitgenössischen Quellen als Zeit der Gottesferne beschrieben, ein deutliches Indiz, dass Echnaton und sein neuer Glaube es nicht schafften, sich im Herzen der Menschen zu etablieren. Die enge Konzentration auf das Königspaar und das Gebiet von Achet-Aton als spirituellem Zentrum brachte es mit sich, dass der Kult weder zukunftsorientiert war noch sich tatsächlich flächendeckend nachhaltig verbreiten konnte. Obwohl nicht durch Quellen belegt, darf man darüber hinaus sicher auch von einem schwelenden Konflikt mit den alten Eliten des Landes ausgehen. Wahrscheinlich war es am Ende eine Mischung dieser Aspekte, die den neuen Glauben zu Fall brachte und das Bedürfnis nach Rückkehr zu den alten Verhältnissen und v. a. den alten Göttern aufkommen ließ. Von großer Bedeutung war dabei sicherlich auch Echnatons grundlegende Ignoranz des mythischen Denkens und Weltverständnisses, die der vergleichsweisen Eindimensionalität seines neuen Kultes diametral entgegenstanden.

Die Amarna-Revolution beeinflusste praktisch alle Bereiche des Lebens: Religion, Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und die schönen Künste. Die Nachwirkungen waren auch zur Zeit Tutanchamuns noch deutlich spürbar. Obwohl der Kindkönig sich, vermutlich unter Anleitung seiner engsten Berater, von der Religion Echnatons abwandte, blieb das Erbe der Amarna-Zeit, wenn auch oft nur hintergründig, Bestandteil der kulturellen Identität Ägyptens.

 

⇒ 2 Biographisches: Familienstammbaum & Regierungsjahre