|
Einführung in die altägyptische Hieroglyphenschrift
Kurzzusammenfassung zur Seminarnachbereitung
Veranstaltung im Kontaktstudium der Universität Hamburg im Wintersemester 2017/18
6 Ein Ausflug in die Literatur und Gedankenwelt der Alten Ägypter Übersetzung einfacher Sätze
Literarische Texte im engeren Sinne (im Unterschied zu religiösen bzw. magischen Texten) entwickelten sich im Alten Ägypten ab dem Ende des Alten Reiches. Die Blütezeit lag im Mittleren Reich, vermutlich als Reaktion auf eine differenziertere Stilbildung in und direkt nach der Ersten Zwischenzeit, die v. a. die sogenannte Auseinandersetzungsliteratur hervorgebracht hatte. Ein besonderer Zug dieser neuen Textform ist die bewusste und offene Fiktionalität des Erzählten.
Im Seminar wurden exemplarisch zwei Texte behandelt, zum einen Die Geschichte des Sinuhe, zum anderen Die Geschichte des Schiffbrüchigen.
Die Geschichte des Sinuhe
Die Geschichte des Sinuhe ist ohne Titel überliefert, ihre vermutliche Entstehungszeit liegt im Mittleren Reich, am Anfang der 12. Dynastie (~ 2000-1900 v. Chr.). Es handelt sich um eine Ich-Erzählung, die die wahrscheinlich fiktive Lebensgeschichte eines Hofbeamten unter Amenemhet I. (1991-1962 v. Chr.) schildert. Der Text wurde in Hieratisch (Kursive der Hieroglyphen) verfasst. Der Schriftsteller Mika Waltari ließ sich von dieser Erzählung zu seinem Roman Sinuhe, der Ägypter inspirieren, der 1952 erschien.
Die Geschichte des Sinuhe liegt in 36 Handschriften (Papyri und Ostraka) vor, aus zweien davon konnte der vollständige Text rekonstruiert werden. Stilistisch erinnert der Text an die autobiographischen Grabinschriften aus den Beamtengräbern des Alten Reiches (~ 2500 v. Chr.). Elemente der „Laufbahnbiographie“, die die Stationen der Beamtenlaufbahn umfasst, und der „Idealbiographie“, welche die guten, Ma’at-gerechten Taten des Verstorbenen wiedergibt, lassen sich im Text nachweisen. Jan Assmann bezeichnet daher passend das Grab als „Vorschule der Literatur“. Darüber hinaus ist Die Geschichte des Sinuhe jedoch in signifikanter Form um Merkmale anderer Gattungen, wie denen des Klagelieds, des Briefes und des Kulthymnus, erweitert, sodass der Text als neue, literarische Form betrachtet werden kann. Der Text thematisiert grundlegende Ängste und Tugenden der Alten Ägypter: Entwurzelung, Gottesferne und Identitätsverlust auf der einen Seite, Loyalität zu Ägypten und dem Pharao sowie den Wunsch nach einem Grab im Land der Ahnen und Götter auf der anderen Seite. Der Text ist damit nicht nur eine spannende Lektüre, sondern bietet zugleich auch einen tiefen Einblick in die Gesinnung und Befindlichkeit der Alten Ägypter zur Zeit des Mittleren Reiches.
Im Seminar wurde ein kurzer Textabschnitt aus der Geschichte des Sinuhe gemeinsam übersetzt.
Die Geschichte des Schiffbrüchigen
Der zweite im Seminar behandelte Text ist nur aus einer Quelle überliefert, dem Papyrus Sankt Petersburg 1115. Er wurde Ende des 19. Jh. in der Eremitage von St. Petersburg von dem russischen Ägyptologen Wladimir Golenischeff (1856-1947) aufgefunden, der originale Fundort ist unbekannt. Verfasst ist der Text in Hieratisch, seine vermutliche Entstehungszeit liegt im Mittleren Reich, wahrscheinlich in der 12. Dynastie (~ 2000-1800 v. Chr.).
Der Schiffbrüchige ist ein anschauliches Beispiel für eine Geschichte in der Geschichte in der Geschichte. Die einfachere Form, die Geschichte in der Geschichte, war eine beliebte textliche Spielart im Alten Ägypten. Die Rahmenhandlung berichtet von einem namenlos bleibenden Expeditionsleiter, der erfolglos von einer Mission zurückkehrt und den Zorn des Pharao fürchtet. Er spricht mit einem Gefolgsmann, der sich rasch als der titelgebende Schiffbrüchige herausstellt. Dieser berichtet, dass er auf einer früheren Reise in einem heftigen Sturm Schiffbruch erlitt und als einziger Überlebender an das Gestade einer Insel gespült wurde. Dort begegnet er einer mächtigen Schlangengottheit, die ihm nach anfänglicher Feindseligkeit ihre eigene, tragische Geschichte erzählt. Der Schiffbrüchige wird am Ende reich von dem Schlangengott beschenkt und kehrt unversehrt nach Hause zurück. Das Schicksal des Expeditionsleiters bleibt ungewiss, die Geschichte endet vor dessen Rückkehr an den Pharaonenhof.
Übersetzungsübung
mit Hilfen
Übersetzung (der Lösungsweg wurde im Seminar besprochen)
Die altägyptischen Hieroglyphen waren, wie dieses Seminar hoffentlich zeigen konnte, keineswegs nur schmückendes Beiwerk oder gar reiner künstlerischer Ausdruck. Sie sind vielmehr eine elaborierte und differenzierte Schriftform, die erzählerische Inhalte ebenso mühelos auszudrücken vermag wie es andere, uns vertrautere Sprachen tun und die neben ihrem außerordentlichen Erscheinungsbild eine Fülle spannender, lehrreicher und faszinierender Inhalte zu bieten hat.
|