Der Tempel als Kosmos Sakralarchitektur im Alten Ägypten
Kurzzusammenfassung zur Seminarnachbereitung
Veranstaltung im Kontaktstudium der Universität Hamburg im Sommersemester 2022
3 Tempelanlagen des Mittleren Reiches
Aus der Zeit des Mittleren Reiches gibt es nur wenige erhaltene Tempelbaustrukturen. Das liegt nicht etwa daran, dass in dieser Zeit weniger Tempel gebaut worden wären, sondern der Grund ist vielmehr, dass die meisten dieser Bauten in späterer Zeit zerstört und/oder für den Bau anderer, häufig auf demselben Areal errichteter Anlagen verwendet wurden. Einen – wenn auch eingeschränkten – Einblick in die Tempelarchitektur dieser Zeit gewähren die Überreste des Tempelgrabes von Mentuhotep II. in Deir el-Bahari in Nachbarschaft des berühmten Totentempels der Königin Hatschepsut.
Das Tempelgrab Mentuhoteps II.
Mentuhotep II. (2046-1995 v. Chr.) konsolidierte das Mittlere Reich nach den Unruhen der zeitlich schwer exakt zu bestimmenden I. Zwischenzeit und einer mehr als 70 Jahre andauernden Parallelherrschaft, in der die jeweils in Theben bzw. Herakleopolis ansässigen Herrscherhäuser um die Vormachtstellung im Land gerungen hatten. In seiner Grabanlage in Deir el-Bahari kombiniert er die aus dem Alten Reich stammende Bautradition, welche die Pyramide als Abbild des Urhügels auffasst, mit dem Tempelkomplex als heiligem Raum des Göttlichen. Er nimmt damit die Entwicklung der sog. „Millionenjahrhäuser“ (Totentempel) des Neuen Reiches vorweg. Seine Grabtempelanlage liegt am Rand des Westthebanischen Gebirges. Der als Begräbnisort genutzte Teil der Anlage liegt tief im Inneren des Felsmassivs und setzt sie aus heutiger Sicht mit den später, im Neuen Reich entstehenden Felsgrabanlagen im Tal der Könige in eine räumliche Beziehung.
Das Tempelgrab Mentuhoteps II. ist der einzige erhaltene monumentale Tempel des Mittleren Reiches, was seine konkrete architekturgeschichtliche Einordnung erschwert, da einerseits aussagekräftige Architekturfragmente weitgehend fehlen und andererseits auch keine aus derselben Zeit stammenden Vergleichsbauten herangezogen werden können. Die Rekonstruktion der Anlage wirft daher verschiedene Probleme auf, von besondere Bedeutung ist in diesem Kontext die Gestaltung des Daches des Zentralbaus. Forscher diskutieren im Wesentlichen zwei mögliche Varianten: Erstens könnte das Dach in Form einer Pyramide aufgebaut gewesen sein (und damit unmittelbar an Architekturelemente des Alten Reiches anknüpfen), zweitens wäre eine Ausformung als Flachdach denkbar, mit oder ohne einen aufgeschütteten Sandhügel, der noch sehr viel unmittelbarer die mythologische Vorstellung des Urhügels umgesetzt hätte.
Im Seminar haben wir die einzelnen Bauelemente der Anlage systematisch vom Vorhof bis zur Grabkammer besprochen.
Die Weiße Kapelle Sesostris‘ I.
Sesostris I. war der zweite König der 12. Dynastie und herrschte von 1975-1930 v. Chr. Er gilt als einer der bedeutendsten Pharaonen des Alten Ägypten, in dessen Regierungszeit durch erfolgreiche Feldzüge erstmals große nicht-ägyptische Gebiete Teil des Pharaonenreiches wurden.
Die Weiße Kapelle gilt als das älteste Bauwerk des Tempelkomplexes von Karnak. Es handelt sich dabei um einen sog. Heb-sed-Schrein, eine seit der Frühzeit belegten Bauform, die als ritueller Kultplatz Teil des als Sed-Fest bezeichneten Thronjubiläums ist, das ein regierender Pharao erstmals zum 30. Jahrestag seines Herrschaftsantritts feierte.
Die Kapelle wurde vermutlich im Neuen Reich abgerissen, um eine Erweiterung der Karnak-Anlage zu ermöglichen. Die Steine wurden von Amenophis III. beim Bau des dritten Pylons als Füllmaterial verwendet, wo sie in den 1930er-Jahren bei Restaurationsarbeiten entdeckt wurden. Es erfolgte eine Rekonstruktion des Bauwerkes im heute sog. Freilichtmuseum des Karnak-Tempels. Das Dach stellt die steinerne Nachbildung eines Zeltes dar und verweist damit auf die lange Tradition der Festlichkeiten. Der Schrein kann von zwei gegenüberliegenden Seiten begangen werden, sodass ein geradliniger Durchgang entsteht. In dessen Mitte befindet sich ein zentraler Abstellplatz für eine Götterbarke, wie sie im Rahmen von Festlichkeiten auf festgelegten Routen von Priestern von einem Kultplatz zu anderen getragen wurden. An Stationen wie der Weißen Kapelle wurden dann besondere Zeremonien durchgeführt, während derer Dauer die Barke abgestellt wurde. Auf den Wänden der Kapelle finden sich innen ebenso wie außen exquisite bildliche Darstellungen und Hieroglyphentexte in erhabenem und versenktem Relief.
⇒ 4 Tempelanlagen des Neuen Reiches
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