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Der Tempel als Kosmos Sakralarchitektur im Alten Ägypten
Kurzzusammenfassung zur Seminarnachbereitung
Veranstaltung im Kontaktstudium der Universität Hamburg im Sommersemester 2022
4 Tempelanlagen des Neuen Reiches
Die politische und wirtschaftliche Expansion Ägyptens läutete im Neuen Reich den Beginn der imperialen Epoche des Alten Ägypten ein und ermöglichte ein umfangreiches, großflächiges Bauprogramm. Neben zahllosen Neubauten richtete sich das Augenmerk der Herrscher auch auf den Ausbau und die Erweiterung bereits bestehender Anlagen. Dies betrifft insbesondere den Tempelkomplex von Karnak, der dem Reichsgott Amun-Re geweiht war. Die größten Bauherren dieser Zeit waren Amenophis III. (18. Dynastie) und Ramses II. (19. Dynastie). Im Tempelbau hatte sich inzwischen ein „Standardgrundriss“ entwickelt, der in immer neuen Detailvariationen überall in Ägypten für die Bauwerke zu Ehren der Götter verwendet wurde und der bis zum Ende des Pharaonenreiches die bestimmende sakrale Bauform blieb. An die Eingangspylone schließt sich ein offener Hof an, auf den eine überdachte Säulenhalle folgt. Jedes dieser Elemente konnte je nach Größe der geplanten Tempelanlage mehrfach hintereinander gesetzt werden. An die Säulenhalle(n) schloss sich das Sanktuar, das Allerheiligste des Tempels, an.
Auch die Totentempel des Neuen Reiches folgen diesem Bauplan, wodurch die Unterscheidung in Totentempel und Göttertempel in gewisser Weise ein Stück weit obsolet wird. Im Seminar haben wir zunächst besprochen, in welchen Punkten Tempelbauten des Neuen Reiches von diesem standardisierten Grundriss abweichen und haben dafür die folgenden drei Beispiele näher betrachtet.
Der Tempelkomplex von Karnak
Der Amun-Re geweihte Tempelbezirk von Karnak gilt als die größte Tempelanlage aller Zeiten. Der moderne Name leitet sich von dem nahe gelegenen Dorf el-Karnak ab. Ursprünglich trug die Stätte den Namen ipet-isut, was soviel bedeutet wie „der auserwählte Ort“.
Die Anlage gliedert sich in vier Tempelbezirke: den des Amun (im Zentrum gelegen), den der Mut (südöstlich vom Bezirk des Amun, in der thebanischen Mythologie war Mut die Gattin Amuns) und den des Chons (gelegen in der südwestlichen Ecke des Amun-Bezirkes; Chons galt als gemeinsames Kind von Amun und Mut); diese drei Götter bilden gemeinsam die thebanische Triade. Hinzu kommt ein dem Kriegsgott Month geweihter Tempelbezirk am Rand der Anlage. Wir haben uns im Seminar mit ausgewählten Bauformen beschäftigt, so z. B. der Hypostylhalle mit ihren Lichtgaden, den verschiedenen Säulenkapitellen, dem großen Skarabäus-Käfer am Heiligen See, der Anordnung der Statuen im Tempel, den Architraven, unterschiedlichen Reliefarten sowie dem szenischen Wanddekor und dessen inhaltlicher Bedeutung.
Amarna
Mitte des 14. Jh. v. Chr. stürzte Pharao Echnaton das Alte Ägypten in eine religiöse und kulturelle Revolution, die sich innerhalb weniger Jahre zu einer tiefgreifenden Krise entwickelte: Er verwarf den alten Götterglauben und verkündete, dass es nur noch einen einzigen Gott gäbe: Aton, der sich in der Sonnenscheibe manifestierte. Echnatons Regierungszeit wird heute als Amarna-Zeit bezeichnet, benannt nach dem Gebiet, an dem Echnaton für seinen Gott eine neue Hauptstadt errichten ließ (und wo sich heute die Ortschaft Tell el-Amarna befindet). Vorbereitet wurde diese beispiellose Entwicklung bereits durch die Betonung des solaren Kultes unter Echnatons Vater Amenophis III. Die Tempelanlagen der Amarna-Zeit unterscheiden sich grundlegend von denen früherer oder späterer Epochen des Alten Ägypten, in denen das Sanktuar stets verborgen im dunklen Inneren der Tempelanlagen lag. Echnaton ließ stattdessen zu Ehren Atons Tempel ohne Dachüberbau errichten, damit das Licht seines Gottes das gesamte Tempelareal mit seinem Licht füllen konnte, alle Gläubigen von dessen Wärme berührt werden konnten und vor allem Echnaton selbst, der erste und zugleich einzige Prophet Atons, sich stets im Glanz seiner Strahlen bewegen konnte.
Tab. 1 Vergleich der Tempelbauweisen der Vor- und Nach-Amarna-Zeit sowie den Anlagen der Amarna-Zeit
Standardtempel | Großer Aton-Tempel |
Verehrung eines Hauptgottes sowie weiterer Gottheiten | Verehrung Atons |
Gang vom Hellen ins Dunkel -> Annäherung an das Geheimnis | Keine Decken, offen für Atons Strahlen |
Gottesstatue im Sanktuar, völliges Dunkel -> Einwohnung | Allgegenwart im Sonnenlicht |
Opferbereiche | Opferbereiche |
Anstieg des Tempelbodens zum Sanktuar-> Urhügel | Erhöhter Altar -> Nähe zur Sonne |
ca. 140 x 70 m | ca. 760 x 275 m |
Nach dem Tod Echnatons um 1336 v. Chr. kehrte Ägypten unter seinen Nachfolgern, insbesondere Tutanchamun, zum alten Glauben zurück. Damit endete auch die Zeit der nach oben hin offenen Tempel und das Geheimnis der Schöpfung kehrte in das Dunkel der Sanktuare zurück.
Abydos
Abydos, gelegen am westliche Nilufer rund 160 km nördlich von Luxor, war ab dem Mittleren Reich das bedeutendstes Kultzentrum des Totengottes Osiris (eine Tempelanlage des Chontamenti, oft als eine Erscheinungsform des Osiris verstanden, wurde bereits von Pharaonen der 1. Dynastie bis in die griechisch-römische Epoche immer wieder umgebaut und/oder erweitert, vgl. Karnak). Abydos war zugleich eine wichtige Königsnekropole und versetzte, so glaubten die Alten Ägypter, den verstorbenen Herrscher auch räumlich in die Nähe des Osiris. Die bekannteste Anlage von Abydos ist der Grabmaltempel Sethos‘ I. aus dem Neuen Reich. Im Seminar haben wir diverse Details der Architektur und des Dekorationsprogramms der Anlage besprochen, so z. B. die berühmte Königsliste, die Osiris-Halle oder das Bildmotiv des Aufstellens des Djed-Pfeilers.
Angegliedert an den Tempelkomplex Sethos‘ I. findet sich das sogenannte Osireion, das 1903 von Margaret A. Murray entdeckt und in den Jahren 1911 bis 1926 ausgegraben wurde. Es liegt etwa 8 m vom Sethos-Tempel nach hinten versetzt. Es handelt sich um eine weitgehend unterirdisch gelegene Anlage, die oberirdisch vermutlich ursprünglich als Osirisgrabhügel bzw. Urhügel gestaltet und von Bäumen umgeben war. Die genaue Funktion der Anlage gibt Forschern bis heute Rätsel auf. Es könnte sich um eine Grabanlage für Osiris selbst handeln oder aber um ein Scheingrab Sethos‘ I., durch das die Identifizierung des verstorbenen Herrschers mit dem Totengott befördert werden sollte.
Von Norden aus führt ein absteigender, 128 m langer Korridor in die Krypta, von der aus in östlicher Richtung ein zweiter Gang abzweigt, der in einen 6 x 20 m großen Querraum mit Satteldach mündet. Von hier aus gelangt man in das Zentrum der Anlage: einen dreischiffigen Pfeilersaal. Die ehemals vorhandene Decke wurde von zweimal fünf Pfeilern getragen. In der Mitte des Saales befindet sich eine von einem Wassergraben umgebene „Insel“, auf der zwei Vertiefungen möglicherweise Platz für einen Sarkophag und einen Kanopenschrein boten. An den schmalen Seiten der „Insel“, die vermutlich den Urhügel symbolisierte, führen Treppen ins Wasser hinab, das vermutlich entsprechen den Urozean repräsentierte. Am Ende der Anlage findet sich ein weiterer Querraum, der u. U. als Lager gedient haben könnte. Das Osireion ist eine bislang im Alten Ägypten einmalige Anlage. Ihre Nutzung und Funktionalität liegt (noch) zu weiten Teilen im Dunkeln.
⇒ 5 Tempelanlagen der Spätzeit
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