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Ägyptologie-Seminare > Unterweltsbücher > 3 3.-5. Nachtstunde

Das altägyptische Jenseits als Ort des Wissens und des Glaubens: Eine Einführung in die altägyptischen Unterweltsbücher

Kurzzusammenfassung zur Seminarnachbereitung
Veranstaltung im Kontaktstudium der Universität Hamburg im Sommersemester 2018

 

3 Die 3.-5. Nachtstunde: Die Gefilde der Uferbewohner, Auf den Wegen von Rosetau, Die Gotteshöhle

 

In der 3. bis 5. Nachtstunde steigt der Sonnengott in die Tiefe der Unterwelt hinab, die sich zunehmend als ebenso gefahr- wie geheimnisvoll präsentiert. Das Licht des Sonnengottes schwindet in diesen Nachtstunden immer mehr, bis es vor dem Eintritt in die 6. Nachtstunde gänzlich erloschen ist.

 

Die 3. Nachtstunde: Die Gefilde der Uferbewohner

Der dritte Nachtstundenbereich ist in vielerlei Hinsicht eine Fortsetzung des Wernesgefildes und in weiten Teilen unmittelbar mit diesem vergleichbar bzw. identisch. Viele Szenen beschäftigen sich mit der Zuteilung von Ackerflächen, auch hier geht es also um die Versorgung der seligen Verstorbenen. Im Unteren Register ist die mumiengestaltige Figur des Totengottes Osiris sehr präsent und kann als Andeutung der engen Verknüpfung dieses Gottes mit Re verstanden werden.

Das Mittlere Register zeigt erneut eine Barkenprozession aus insgesamt vier Barken. Wie immer ist ganz links im Bild die Barke des Sonnengottes zu sehen, der Gott selbst und sein Schrein fehlen jedoch. An ihrer Stelle klafft eine unübersehbare Lücke. Möglicherweise ist dies als ein Hinweis darauf zu verstehen, dass der Schöpfergott auch in seiner Abwesenheit gegenwärtig bleibt. Unterstützt wird diese Lesart dadurch, dass die übrigen drei Barken unterschiedliche Verkörperungen des Sonnengottes beherbergen, wobei er exemplarisch als „Der in der Erde“ (also als unterweltlicher Herrscher), als „Strahlenglänzender“ (Sonnenaspekt) und in Falkengestalt (Himmelsaspekt) auftritt. Die vier Götter am Ende des Registers sind ihren Namen nach zu urteilen v. a. mit chthonischer Macht- und Ordnungsfunktion ausgestattet und heißen z. B. „Der Herr des Gewässers“ und „Der die Grenzen festgesetzt hat“.

Das Obere Register bietet eine Zusammenschau typischer Wesen und Götter des Jenseits: Es finden sich u. a. preisende Affen, ein Widder mit einem Messer „Der seine Feinde schlachtet“, eine Papyrussäule namens „Zauberreicher“ mit gebogenem Zauberstab, Götter mit den Namen „Der die Mumien verjüngt“ oder „Der Bekleidete“, Göttinnen als Klagefrauen („Die Weinende“) sowie Götter mit Uas-Zepter und Anch-Zeichen („Der die Ma‘at erfüllt“).

Im Unteren, dicht mit Figuren besetzten Register fällt die mehrfache Präsenz des Gottes Osiris auf: Viermal ist er mit der oberägyptischen Krone dargestellt, viermal mit der unterägyptischen. Hinzu kommt eine zweifache Darstellung des Gestirnsgottes Orion, hinter dem sich nach altägyptischer Vorstellung Osiris verbirgt. Die übrigen Figuren haben schützende und strafende Funktion. Am Ende des Registers findet sich mit der Göttin „Die vom Ostberg“ eine Personifizierung der Morgenröte (Aurora vergleichbar), die als Vorausdeutung der erfolgreichen Nachtfahrt verstanden werden kann, da sie bereits auf den Aufgang des Sonnengottes am östlichen Horizont am Ende der Nacht verweist.

Die Themen der 3. Nachtstunde kreisen um die Machtfülle und Gegenwart des Sonnengottes (Mittleres Register), um Jubel, Zauber, Macht und Wehklagen im Oberen Register und um die bedeutungsvolle Rolle des Totengottes Osiris im Unteren Register.

 

Die 4. Nachtstunde: Auf den Wegen von Rosetau – Im Reich des Sokar, 1

In der 4. und 5. Nachtstunde durchquert der Sonnengott einen besonderen Abschnitt der Unterwelt: das Wüstenreich des falkengestaltigen Gottes Sokar. Sokar zählt zu den ältesten Totengottheiten der alten Ägypter. Im Alten Reich verschmolz er mit dem memphitischen Schöpfergott Ptah, im Mittleren Reich entstand in Verbindung mit dem Unterweltsherrscher Osiris die synkretistische Dreiheit Ptah-Sokar-Osiris. Das Reich des Sokar ist eine von unzähligen Schlangen bevölkerte Wüstenlandschaft, welche die Mannschaft der Sonnenbarke zwingt, diese zu treideln bzw. über Land zu ziehen. Die Nachtfahrt des Re erfährt in diesen beiden Nachtstunden einen dramaturgischen Höhepunkt, denn der Sonnengott ist mittlerweile stark geschwächt und sein Licht fast ganz erloschen. Die 4. und 5. Nachtstunde bleiben daher weitgehend in Dunkelheit gehüllt, nur die Flammenstrahlen der Schlangen erhellen die Finsternis in Teilen.

Anders als in den anderen Nachtstundenbereichen ist in der 4. und 5. Nachtstunde die strenge Registeraufteilung aufgebrochen. In der 4. Stunde zieht sich ein gewundener Sandweg von oben links nach unten rechts durch alle drei Register hindurch, er symbolisiert die verschlungenen Wege des Jenseits und erinnert an Darstellungen aus dem Zweiwegebuch des Mittleren Reiches, das hier erkennbar Pate gestanden hat.

Das Mittlere Register zeigt die Sonnenbarke, die von einer exemplarischen Gruppe von vier Göttern an einem Zugseil vorwärtsbewegt wird. Ungefähr in der Registermitte ist eine der „Augenszenen“ des Amduat zu sehen, in der eine Gottheit namens „Erhebender“, hinter der sich möglicherweise der Mondgott Thot verbirgt, dem falkenköpfigen Gott „Der mit ausgestrecktem Arm“, vermutlich eine Verkörperung des Sokar, das „Auge des Sokar“ überreicht. Hinter dieser mythologisch stark aufgeladenen Szene verbirgt sich eine Anspielung auf die angestrebte Regeneration und Erneuerung des Sonnengottes. Das Register wird von insgesamt acht Gottheiten beschlossen, die für Schutz und Leben stehen. Zunehmende Verdunklung auf der einen Seite und zugleich Ausblick auf die bevorstehende Erneuerung andererseits sind die Hauptthemen dieses Registers.

Das Obere Register steht ganz im Zeichen des Schutzes von Re und Osiris. Diverse Schlangengestalten säumen den Weg, deren Namen auf ihre Schutzfunktion hinweisen; gleiches gilt für die zwischen und neben ihnen stehenden Gottheiten. Neben dem Schutz des Sonnengottes wird Wert auf die Unversehrtheit des Osiris gelegt, indem die friedliche Scheidung der beiden verfeindeten Brüder, Osiris und Seth, der ebenfalls im Bild dargestellt ist, beschworen wird.

Der Schutzaspekt setzt sich im Unteren Register dieser Nachtstunde fort. Von besonderem Interesse ist die rechte Hälfte des Registers, die einen komplexen Aufbau besitzt: Über einer nach links gewandten dreiköpfigen Schlange stehen in zwei Zeilen jeweils sieben Menschenköpfe, die mit Sonnenscheiben bekrönt sind. Unter jedem Kopf ist ein Stern abgebildet. Am rechten Rand der Szene stehen zwei Götterfiguren: Es handelt sich um eine männliche Figur mit dem Namen „Der im Himmel ist“ und die Göttin Ma’at, welche die der Schöpfung immanente, gerechte Weltordnung verkörpert. Über dieser Szene steht eine geflügelte Sonnenscheibe, die sich aus der Beischrift als Verkörperung des Chepri zu erkennen gibt. Die eindrucksvolle Szene knüpft an die stellaren Jenseitsvorstellungen des Alten Reiches an und öffnet an diesem dunklen und gefahrvollen Punkt der Nachtfahrt des Sonnengottes den Blick auf und den Weg durch das sternenübersäte, lichte Jenseits früherer Zeiten. Schutz und Öffnung des Himmels sind die zentralen Themen dieses Registers.

Die Themen der 4. Nachtstunde lassen sich mit drei Stichwörtern zusammenfassen: Es geht um den Schutz des Sonnengottes (Oberes und Unteres Register), das zunehmende Schwinden des Lichtes (Mittleres Register) und den Ausblick auf die bevorstehende Erneuerung, die im Mittleren Register durch die Augenszene angedeutet und im Unteren Register durch den tröstlichen Blick in den sternenfunkelnden Nachthimmel befördert wird.

 

Die 5. Nachtstunde: Die Gotteshöhle – Im Reich des Sokar, 2

Wie bereits die 4. Nachtstunde weist auch die 5. eine graphische Besonderheit auf: Vom Boden des Unteren Registers erhebt sich die „Höhle des Sokar“, die die untere Linie des Mittleren Registers durchbricht und sich bis ins Zentrum des Nachtstundenbereiches hineinschiebt. Das Geschehen im Oberen Register ist unmittelbar mit dem in den darunterliegenden verbunden: Aus einer hügelförmigen Erhebung senkt sich der Chepri-Käfer herab, ergreift das Zugseil der Sonnenbarke und hilft dabei, das Schiff über die Erhebung der Höhle hinüberzuziehen. Anders als in den anderen Nachtstunden ist das Geschehen in dieser über die Register hinweg besonders eng miteinander verzahnt.

Im Mittleren Register ist wie immer die Sonnenbarke zu sehen, die nach wie vor von einem Göttertross mithilfe eines Zugseils vorwärtsbewegt wird. Ungefähr in der Mitte des Registers erhebt sich die Höhle des Sokar. Das Zugseil läuft über die Kuppel der Höhle hinweg, über die sie mit Hilfe des Chepri-Käfers gezogen wird. Auf der anderen Seite des Hügels befindet sich eine Gruppe von Göttinnen, die das Zugseil aufnehmen und die Barke weiter voranziehen.

Das Obere Register wird von der Göttin Ma’at als Westgöttin eröffnet, gefolgt von neun hieroglyphischen Götterzeichen, welche die Beischrift im Wesentlichen als Götter der Heliopolitanischen Neunheit identifiziert (Abb. 1).

 

Abb. 1 Links die klassische Götterkonstellation der Heliopolitanischen Neunheit, rechts die an zwei Positionen veränderte Konstellation aus der 5. Stunde des Amduat. Als Vorausdeutung auf die morgendliche Neugeburt wird an der obersten Position Atum durch Chepri ersetzt, an die Stelle des Osiris-Feindes Seth (unterste Reihe) tritt der Unterweltliche Horus. Grafik: KL

 

Die vier auf diese Gruppe nachfolgenden Götter berühren bereits einen Aspekt der 10. Nachtstunde, die Vergöttlichung durch Ertrinken, während eine aus neun Gottheiten bestehende Gruppe in der rechten Hälfte des Registers den Strafaspekt verkörpert und damit eine deutliche Warnung an die Feinde des Re und des Osiris sendet.

Von zentraler Bedeutung ist in dieser Nachtstunde jedoch die vertikale Bildachse, die im Oberen Register von einem hügelförmigen Gebilde eingenommen wird, das in der Beischrift als „Kasten“, „Finsternis“ und „Nacht“ bezeichnet wird und das mit unterschiedlichen Bedeutungen ausgestattet ist: So symbolisiert es den Sarg oder Grabhügel des Osiris ebenso wie die Unterwelt selbst, aus der am unteren Rand der Chepri-Käfer hervorkommt und wie oben beschrieben das Zugseil der Sonnenbarke ergreift. Links und rechts sitzen Isis und Nephthys in ihrer Gestalt als Klagevögel. Bereits aus dieser Auswahl der Bedeutungen und Motive, die in dieser Bildkomposition zusammengeführt sind, wird deutlich, dass hier auf engstem Raum zentrale Elemente des Sonnen- und des Osirismythos kombiniert werden und so die enge Verbindung der beiden Götter Re und Osiris sinnfällig veranschaulicht wird.

Das Untere Register wird vollständig von der Höhle des Sokar eingenommen. In ihrem Inneren befindet sich ein separater ovaler Raum, in dem eine vierköpfige Schlange am Boden liegt (ein Kopf links, drei Köpfe rechts). Sie trägt den Namen „Größter Gott, der seine Flügel ausbreitet, der Buntgefiederte“. In ihrer Körpermitte besitzt sie ein Flügelpaar, zwischen dem der Gott Sokar steht und mit seinen Händen die Flügel festhält. Siegfried Schott postulierte, dass der Innenraum des Ovals als Teil des uranfänglichen Chaos zu verstehen sei; in der Tat spricht die Beischrift von der „Urfinsternis“, was ein Hinweis in diese Richtung ist. Das Oval ruht zwischen den Rücken zweier menschenköpfiger Sphingen. Die Komposition erinnert an Darstellungen des Erdgottes Aker, der im Alten Reich als schmaler Landstreifen mit an den Rändern aufragenden menschlichen Köpfen dargestellt wurde. Das Motiv wurde später um die Vorderpranken von Löwen ergänzt und zu einem Doppelsphinx erweitert, dessen Figuren in entgegengesetzte Richtungen blicken und deren Namen „Gestern“ bzw. „Morgen“ bedeuten. Links und rechts wird die Kompositfigur von Götter- und Schlangenfiguren flankiert, die für Schutz, Leben und königliche Macht stehen.

Die 5. Nachtstunde ist die visuell vielleicht eindrucksvollste des Amduat. Während das Obere Register kunstvoll Sonnen- und Osirismythos zusammenführt und gleichzeitig das stets wichtige Thema der Bestrafung der Feinde aufgreift, steht das Mittlere Register ganz im Zeichen der vorwärtsgerichteten Bewegung der Sonnenbarke. Der Sonnengott ist jetzt so geschwächt und verletzlich wie an keinem anderen Punkt seiner Tag- oder Nachtfahrt. Alles ist darauf ausgerichtet, ihn sicher die letzte Wegstrecke bis hin zur Vereinigung mit Osiris in der folgenden, sechsten Nachtstunde zu geleiten, in der sich allnächtlich das Wunder der Erneuerung vollzieht.

 

⇒ 4 Die 6. Nachtstunde und die Gerichtshalle des Osiris