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Ägyptologie-Seminare > Unterweltsbücher > 6 10.-12. Nachtstunde

Das altägyptische Jenseits als Ort des Wissens und des Glaubens: Eine Einführung in die altägyptischen Unterweltsbücher

Kurzzusammenfassung zur Seminarnachbereitung
Veranstaltung im Kontaktstudium der Universität Hamburg im Sommersemester 2018

 

6 Die 10.-12. Nachtstunde: Regeneration im Urgewässer, der zweite Tod, Wiedergeburt am Ende der Dunkelheit

 

Die letzten drei Stunden vor Sonnenaufgang sind geprägt von dem Streben zurück ins Diesseits. Während die regenerierten und regenerativen Kräfte des Sonnengottes diese verbliebenen Nachtstundenbereiche durchwalten, wendet sich seine Macht nun auch noch einmal unerbittlich gegen seine Feinde, die ihren gerechten Strafen zugeführt werden. In der 12. Nachtstunde wirken alle Kräft der Schöpfung und auch der primordialen Welt mit, um die Erneuerung des Sonnengottes abzuschließen und seinen strahlenden Neuaufgang am östlichen Horizont sicherzustellen.

 

Die 10. Nachtstunde: Regeneration im Urgewässer

Dieser Nachtstundenbereich trägt den Namen „Mit tiefem Wasser und hohen Ufern“. Es ist die Wiedergeburt aus dem Urgewässer Nun, die im Zentrum dieses Abschnitts der Nachtfahrt des Sonnengottes steht. „Die Götter, die in dieser Stätte sind, verweilen im Wasser“ ist aus der Beischrift des Mittleren Registers zu entnehmen, und mit dem Begriff Götter sind wie meist im Amduat die seligen Verstorbenen gemeint. Des Weiteren heißt es: „Sie [die Verstorbenen im Wasser] atmen vom Klang des Ruderns dieser Göttermannschaft.“ Erneut ist es ein Geräusch, das die Toten zurück ins Leben ruft, diesmal der Klang der Ruderschläge der Mannschaft der Sonnenbarke. Die Verstorbenen, um die es hier geht, sind Ertrunkene, denen kein Begräbnis bereitet werden konnte und deren Körper nicht für die Fortdauer im Jenseits präpariert werden konnten. Ihnen wird eine besondere Ehre zuteil, denn auch ohne diese ansonsten unabdingbaren Elemente des altägyptischen Jenseitsglaubens und Totenkultes dürfen sie in das elysische Jenseits eingehen.

Im Anschluss an die Sonnenbarke wird in der zweiten Szene des Mittleren Registers noch einmal an den Totengott Sokar erinnert. Er ist in Gestalt eines Falken dargestellt und wird von einer zweiköpfigen Schlange sowie zwei Göttinnen flankiert, jeweils bekrönt mit den Kronen von Ober- und Unterägypten. Die dritte Szene ist Osiris gewidmet und zeigt eine auf einem Papyrusboot ruhende Schlange, die als „Schutzschlange der Dat, der unnahbare Ba des Chontamenti [Osiris]“ bezeichnet wird. Das Register endet mit einer Göttergruppe, die zur Leibwache des Sonnengottes gehört: Vier Figuren sind jeweils mit einer Zielscheibe als Kopf und Pfeilen in den Händen dargestellt, vier mit Speeren und vier weitere mit Bögen. Die Beischrift benennt als ihre Aufgabe, die Feinde des Sonnengottes zu bestrafen. Das Register betont noch einmal die enge Verbindung zwischen Re und Osiris/Sokar und thematisiert deren Schutz.

Das Obere Register ist eng mit Figuren bestellt, insgesamt 23 sind an dem hier gezeigten Geschehen beteiligt. Auffällig ist, dass gleich zwei Augenszenen in diesem Register angesiedelt sind. In der linken Hälfte sind zwei mal zwei Göttinnen zu sehen, die sich jeweils einer zwischen ihnen befindlichen Sonnenscheibe zuwenden, die aus der Beischrift als Augen des Re erkennbar werden. Eine weitere Augenszene findet sich in der rechten Hälfte des Registers, wo ein mumienförmiger Pavian in sitzender Haltung dargestellt ist, der das Horusauge in seinen Händen hält. Beide Szenen betonen das Wiedererstarken des Sonnengottes, indem sie auf den erfolgreichen Heilungsprozess der Augen hinweisen. Neben der Heilung der Augen legt das Register erneut Wert auf die Bestrafung der Feinde des Osiris und die Schaffung von Ordnung, auf welche durch die verbleibenden Figuren verwiesen wird.

Das Untere Register steht ganz im Zeichen der bereits angesprochenen Vergöttlichung durch Ertrinken (s. o.). Der Unterweltliche Horus ganz links am Registerrand, durch die Sonnenscheibe auf seinem Kopf als Erscheinungsform des Sonnengottes gekennzeichnet, neigt sich den Ertrunkenen zu, die in horizontaler Lage in einem Gewässerviereck vor ihm dargestellt sind. Sie unterscheiden sich aufgrund von Details ihrer Körperhaltung und werden als „Die im Wasser Treibenden, die in der Dat sind“, „Gekenterte, die in der Dat sind“ und „Ausgestreckte, die in der Dat sind“ bezeichnet. Die abschließende Szene widmet sich erneut dem Thema Bestrafung und Schutz.

Die Themen der 10. Nachtstunde sind die Heilung der Augen und die Bestrafung der Feinde des Osiris (Oberes Register), die Verbindung von Re und Osiris/Sokar sowie der Schutz der Götter (Mittleres Register) und schließlich die Rettung der Ertrunkenen (Unteres Register).

 

Die 11. Nachtstunde: Der zweite Tod

Im Mittleren Register zeigt sich die Sonnenbarke mit unveränderter Besatzung, lediglich auf dem Kopf des Bugs ist eine Sonnenscheibe mit Uräus-Schlange hinzugekommen, die als Vorausdeutung des erfolgreichen Endes der Nachtfahrt verstanden werden kann. Ihr Name ist „Die Leuchtende der Dat“ und sie ist es, die laut Beischrift den Sonnengott „zum östlichen Horizont des Himmels“ geleitet. Der Sonnenaufgang ist nun, in der 11. Nachtstunde, ganz nah, und alles ist auf die Wiedergeburt des Schöpfers ausgerichtet. Das Zentrum des Registers wird von einer Prozession aus zwölf Göttern eingenommen, die auf ihren erhobenen Händen die Schlange „Weltumringler“ tragen, eine Bezeichnung, die auch für den später in der griechischen Mythologie entstandenen Uroboros geläufig ist. Die Schlange ist als ein Bild des chaotischen Nichtseins zu deuten, vermutlich aber auch als positiver Gegenpart zu Apophis, da sie in dieser Szene eindeutig nicht als Bedrohung präsentiert wird, sondern im Gegenteil Bestandteil des Erneuerungsprozesses ist. Zugleich enthält die Darstellung einen Ausblick auf die folgende 12. Nachtstunde, in der ebenfalls eine ambivalente Schlangengottheit von Bedeutung sein wird. Es folgen, das Schlangenmotiv fortsetzend, Isis und ihre Schwester Nephthys in Gestalt zweier Uräusschlangen mit den Kronen von Unter- und Oberägypten und schließlich eine Vierergruppe bestehend aus Erscheinungsformen der Kriegs-, Schöpfer-, Mutter- und Totengöttin Neith, der in Sais im westlichen Nildelta eine große Tempelanlage geweiht war und die dort in enger Verbindung mit dem Totengott Osiris stand. Die Themen des Registers sind die Regeneration durch Kontakt mit dem uranfänglichen Chaos und das Streben nach Osten, Richtung Sonnenaufgang.

Das Obere Register zeigt an seinem Anfang eine komplexe Abfolge von Einzelszenen, die mit einer männlichen Götterfigur beginnt, die zwischen ihren beiden Köpfen eine Sonnenscheibe trägt und u. a. den Namen „Herr der Zeit“ trägt. Aus der Beischrift wird ersichtlich, dass es sich hierbei offensichtlich um eine Emanation des Re handelt, auf dessen zeiterschaffenden Charakter hier hingewiesen wird. Aus den folgenden Motiven ist eine eindrucksvolle Darstellung des Gottes Atum hervorzuheben, der neben einer geflügelten Schlange steht, deren Flügel er mit seinen Händen umfasst hält. Das Bild erinnert an die 5. Nachtstunde, in welcher der Gott Sokar im Inneren der Gotteshöhle in einer ganz ähnlichen Position gezeigt ist. Bei dem Augenpaar, das die Szene nach oben beschließt, handelt es sich um die wieder geheilten Augen des Re (linkes Auge: lunar, rechtes Auge: solar). Das Motiv vollendet die vorangegangenen Augenszenen des Amduat (Heilungsszenen in der 4., 6. und 10. Nachtstunde, s. o.) und zeigt deren erfolgreichen Abschluss. Rechts davon, eng an die Atum-Szene angelehnt, ist eine von rechts nach links aufsteigende Schlangenfigur zu sehen, die den Namen „Der die Stunden fortnimmt“ trägt. Auf ihrem Rücken sitzt eine mumifizierte Göttin als Personifikation der Zeit. Die zehn Sterne, die laut Beischrift von der Schlange verschlungen werden, werden i.d.R. als die bislang vergangenen Nachtstunden gedeutet. Auf eine zwölfköpfige Göttergruppe aus der Entourage des Re folgen vier auf Uräus-Schlangen thronende Straf- und Schutzgöttinnen. Aus ihren Mündern strömt ein Feuerhauch, den die Göttinnen aber während der Vorbeifahrt des Re zurückhalten, indem sie eine Hand vor ihren Mund heben. Thema dieses Registers ist die zunehmende Regeneration des Sonnengottes und seines Gefolges.

Das Thema des Unteren Registers ist die Vernichtung der Feinde. In sechs feuergefüllten Gruben werden die Feinde des Sonnengottes der Vernichtung und dem zweiten, endgültigen Tod zugeführt. In den ersten fünf Gruben werden der Reihe nach „die Feinde“, ihre Leichname, ihre Bau (~Seelen), ihre Schatten und ihre Köpfe vernichtet. Fünf feuerspeiende Göttinnen bewachen die Gruben. In der sechsten Grube sind die Figuren der Feinde auf den Kopf gestellt, ein typisches Motiv des Verlustes von Ordnung und Geschaffenem in der altägyptischen Bildsprache. Der Unterweltliche Horus überwacht die Ausführung der Strafen. Die Sonnenscheibe auf seinem Kopf gibt ihn als Verkörperung des Re zu erkennen (diese Darstellung des Unterweltlichen Horus als strafende Gottheit kontrastiert mit der ähnlich aufgebauten Szene aus dem ebenfalls Unteren Register der 10. Nachtstunde, in der der Gott als Retter der Ertrunkenen auftritt). Vier Göttinnen, die auf ihren Köpfen die Hieroglyphe für „Wüste“ tragen, sind in der rechten Hälfte des Registers zu sehen. Ihre Namen „Die Kochende“, „Die Erhitzende“, „Die über ihrem Sand ist“ und „Die Vernichtende“ identifizieren sie als weitere Vollstreckerinnen. Beschlossen wird das Register von einem Strafdämon, der ebenfalls einen programmatischen Namen trägt: „Der über seinen Kesseln ist“.

Die Themen der 11. Nachtstunde sind die zunehmende Regeneration des Re, sein Gefolge (Oberes Register), die Regeneration durch den Kontakt mit dem ungeformten Ursprung (Mittleres Register) und die Bestrafung der Feinde (Unteres Register), die an keiner anderen Stelle des Amduat, obwohl immer wieder thematisiert, so unverhüllt und umfassend dargestellt wird.

 

Die 12. Nachtstunde: Wiedergeburt am Ende der Dunkelheit

Die letzte Nachtstunde steht ganz im Zeichen der Neugeburt. Unterschiedliche Jenseitsbilder werden hier bereits im einleitenden Text noch einmal explizit miteinander verschmolzen, z. B. wenn gewünscht wird, dass der Sonnengott aufgehen möge „aus den Schenkeln der [Himmelsgöttin] Nut“, ein Bild, das zu der Idee der solaren Nachtfahrt durch das unterirdische Totenreich nicht so recht passen will. Diese motivische „multiplicity of approaches“ (Henri Frankfort) ist jedoch typisch für das mythische und speziell das altägyptische Denken und stellt in der Vorstellungswelt der alten Ägypter keineswegs einen Widerspruch, sondern vielmehr eine Bereicherung der beschreibenden Sprache und Gedankenwelt dar. Es ist die „Höhle des ‚Endes der Urfinsternis‘“, die der Sonnengott nun noch durchqueren muss, bevor er die dunkle Unterwelt verlassen und wieder als strahlendes Tagesgestirn am Horizont aufsteigen kann. In diesem zwölften Nachtstundenbereich liegen Heil und Verderben noch einmal so eng und so deutlich erkennbar nebeneinander wie an kaum einer anderen Stelle des Amduat.

Das Obere Register besteht aus nur zwei Szenen: Die erste umfasst zwölf Göttinnen, um deren Hals sich je eine feuerspeiende Schlange gewunden hat. Ihre Aufgabe ist dreigeteilt, denn nicht nur sollen sie mit dem Feuer der Schlangen den Gottesfeind Apophis zurückhalten, sondern gleichzeitig den seligen Verstorbenen Licht spenden und Re bei seinem Vorbeizug zujubeln. Die zwölf Götter der nachfolgenden Szene sind weit weniger gefordert, denn ihre Aufgabe besteht schlicht in der Anbetung Res und dem Jubel über seine unmittelbar bevorstehende Neugeburt und den vorausgehenden Abschluss seiner Erneuerung, der sich im Mittleren Register vollzieht. Schutz und Jubel sind folglich die Themen dieses Registers.

Das Mittlere Register zeigt die Sonnenbarke, an deren Bug nun nicht mehr die von einer Uräus-Schlange besetzte Sonnenscheibe ruht, sondern stattdessen der Chepri-Käfer an vorderster Position sitzt. Er erweist sich als Miniaturbild des großen Chepri-Käfers, der am Registerende auf die weit ausgebreiteten Arme des Luftgottes Schu zustrebt, um die Grenzen der Unterwelt zu durchbrechen und am Himmel aufzusteigen. Zwischen beiden liegt jedoch noch eine der größten Gefahren, zugleich auch Wunder der altägyptischen Unterwelt: die Schlange „Ka dessen, der die Götter leben lässt“, auch kurz „Leben der Götter“. Vermutlich ist dieses riesenhafte Reptil identisch mit dem Weltumringler aus der 11. Nachtstunde (s. o.). Zwölf Götter ziehen die Sonnenbarke in den Schwanz der Schlange hinein, ihre Namen lauten u. a. „Der Alte“, „Der Greise“, „Der Altersschwache“, „Der Weise“, „Der seine Jahre durchlebt hat“, „Der Ehrwürdige“, „Der Ergraute“. 13 Göttinnen greifen das Zugseil jenseits des Schlangenleibes und ziehen die Barke aus dem Maul der Schlange heraus. Ihre Namen lauten u. a. „Die Ziehende“, „Die die Vollkommenheit Res schaut“, „Die Chepri schaut“, „Die Herrin der Verjüngten“, „Herrin der Zeit“, „Die in ihrem Horizont jubelt“. Bereits die Namen der Angehörigen der beiden Göttergruppen veranschaulichen, dass sich mit dem Durchzug durch den Schlangenleib das Wunder der Erneuerung und der Verjüngung des Sonnengottes noch einmal unmissverständlich vollzieht. Während die Verbindung mit Osiris in der 6. Nachtstunde sowie der vorhergehende Kontakt mit Sokar in der geheimnisvollen Gotteshöhle in der 5. Nachtstunde verschleiert und dunkel blieben, wird der Prozess hier unmittelbar veranschaulicht und sichtbar gemacht. In der Beischrift heißt es über die seligen Verstorbenen im Gefolge des Re: „Sie treten ein in das geheime Bild der [Schlange] ‚Leben der Götter‘ als Ehrwürdige, und sie kommen heraus als die Verjüngten des Re, Tag für Tag“. Doch die Erneuerung ist nicht ohne Gefahr: Der Kontakt mit dem durch die Schlange verkörperten uranfänglichen Chaos birgt die Gefahr des Scheiterns, des Zurücksinkens in die noch ungestaltete Vorform des Seins – doch nur aus ihm heraus kann die Regeneration erfolgen und der tägliche Neubeginn der Schöpfung vollzogen werden. Beides sind die Themen dieses Registers.

Im Unteren Register treten zwei der vier Urgötterpaare auf, deren kultisches Zentrum in Hermopolis lag und die entsprechend als Achtheit von Hermopolis bezeichnet werden: Es handelt sich um Nun und Naunet (Verkörperungen des Urozeans) sowie Huh und Hauhet (Verkörperungen der räumlichen Unendlichkeit). Ihr Auftritt ist mit einer Besonderheit verbunden, die im Amduat einmalig ist: Die linke Begrenzungslinie des Registers ist als Durchgang für die Götter durchbrochen. Ihr Erscheinen bedeutet in der Tat in gewisser Weise den Einbruch des Primordialen in die geschaffene Welt und unterstreicht die Bedeutung des Uranfänglichen für die Regeneration des Schöpfergottes. Auf sie folgen zwei Gruppen à vier Ruderträger sowie eine feuerspeiende Schlange, deren Aufgabe darin besteht, so die Beischrift, im Osthorizont nach der Geburt des Re Apophis erneut abzuwehren. Es wird deutlich, dass der im Laufe der Nacht schon mehrfach abgewehrte bzw. besiegte Sonnenfeind immer wieder zurückkehrt, um den Sonnengott und seine Barke aufzuhalten. Beide bedingen einander: Während es Res Aufgabe ist, mit Hilfe seines Gefolges Apophis immer wieder in seine Schranken zu weisen und ihn zu vernichten, um so die Schöpfung zu bewahren, ist es Apophis' Aufgabe, eben diese immer wieder in Frage zu stellen und herauszufordern. Weitere zehn Götter sind dem mumiengestaltigen, übergroßen Osiris zugewandt, der an den gerundeten Abschluss der Dat gelehnt steht. Doch während die Bildkomposition einen bedrückenden Eindruck vermittelt und zeigt, wie Osiris in den Totenschlaf zurücksinkt, spricht die Beischrift eine ganz andere Sprache (Übersetzung nach Hornung): „Lebe, du Lebendiger in seiner Finsternis! [....] Herr des Lebens und Herrscher des Westens, Osiris-Chontamenti, und lebe, du Lebendiger in der Dat! Der Lebensodem Res gehört deiner Nase, der Atem des Chepri ist bei dir, damit du lebst und am Leben bleibst! Heil dem Osiris, dem Herrn des Lebens!“ Diese für einen Totengott in besonderer Weise erstaunlich anmutende Bezeichnung erinnert an die Darstellung des Osiris im Kontext des Totengerichts, wo er, mit dem Lebenszeichen Anch in der Hand, ebenfalls als „Herr des Lebens“ angesprochen wird.

Die zwölfte Nachtstunde nimmt bei eigener Schwerpunktsetzung und natürlich dem Hauptereignis der Verjüngung und Wiedergeburt noch einmal zentrale Themen der Nachtfahrt auf. Der Schutz des Sonnengottes ist ein Anliegen, das sich als einer von mehreren Leitfäden durch alle zwölf Stunden zieht. Jubel über Res Erscheinen und seine Gegenwart hallen überall durch die Unterwelt, weil sie allein die Verstorbenen aus ihrer Totenstarre erlösen und ihnen das ersehnte selige Fortleben im Jenseits schenken können, auf das alles irdische Streben der alten Ägypter ausgerichtet war. „Der Anfang ist das Licht, das Ende ist die Urfinsternis“ heißt es in der Beischrift. Doch im zyklischen Weltbild der alten Ägypter ist das Ende nur ein Ende auf Zeit und an seinem Ende wartet die strahlende Neugeburt.