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Einführung in die Mythologie und Götterwelt der alten ÄgypterKurzzusammenfassung zur Seminarnachbereitung
5 Mensch und Kosmos, Leben und Tod, Vergänglichkeit und ewige DauerDas altägyptische Pantheon umfasst mehrere hundert Gottheiten, die sich mit Bezug auf ihre Prominenz und damit verbunden in der Weiträumigkeit ihrer Verehrung z. T. erheblich voneinander unterscheiden. Es gab Götter, die nur lokal verehrt wurden (als Beispiel wurde Herischef behandelt), überregional (als Beispiel wurde Hatmehit behandelt), landesweit (als Beispiel wurden Re und Sachmet behandelt) oder sogar über die Grenzen Ägyptens hinaus (als Beispiel wurden Isis und Serapis behandelt). Viele altägyptische Götter werden – fälschlich – als Tiergötter bezeichnet. Doch während es sich bei Tiergöttern um als Götter verehrte Tiere handelt, stand im alten Ägypten wohl zunächst die Erkenntnis und Verehrung als göttlich wahrgenommener Mächte und Erscheinungen im Vordergrund (z. B. Sonne, Mond, Sturm, Nilschwemme, Liebe), die als Wesenheiten gedacht und dann mit Tierattributen versehen wurden, die zu ihrem Wesen passen. Eine Besonderheit ist, dass die Götter der alten Ägypter sterblich waren. Nirgendwo tritt dies deutlicher in Erscheinung als im Osiris-Mythos (s. u.). Ihre Lebensspanne grenzt für menschliche Vorstellung an das Unendliche, ist aber dennoch begrenzt. Sie sind unmittelbar verknüpft mit dem Schicksal der Schöpfung und vergehen spätestens an deren Ende. Der Osiris-Mythos Der Osiris-Mythos ist neben dem Sonnenmythos die bestimmende und definierende mythologische Erzählung des alten Ägypten. Er berichtet davon, dass Osiris gemeinsam mit seiner Schwestergemahlin Isis als guter, gerechter und kulturstiftender König über Ägypten herrscht, bis er von seinem neidischen Bruder Seth heimtückisch ermordet wird: Seth hatte einen Sarg nach den exakten Körpermaßen seines Bruder anfertigen und wunderschön schmücken lassen. Auf einem Fest bot er dieses wertvolle Stück demjenigen als Geschenk an, der bequem darin liegen könne. Wie von Seth geplant, legten sich alle Gäste nacheinander in den Sarg hinein. Als Osiris sich ebenfalls in den Sarg hineinlegte, verschlossen Seth und seine Getreuen diesen und warfen ihn in den Nil. Isis aber machte sich auf die Suche nach ihrem Gemahl und fand seinen Körper schließlich, noch immer eingeschlossen in dem hölzernen Sarg und umwachsen vom Stamm eines Baumes, der als mächtige Säule den Palast des Königs von Byblos zierte. Es gelang Isis, den Körper des Osiris zurück nach Ägypten zu bringen, doch Seth bringt den Leichnam erneut an sich, zerstückelt ihn in 14 Teile und verstreut diese über dem ganzen Land. Eine erneute, lange Suche beschert Isis den ersehnten Erfolg, und es gelingt ihr, Osiris’ Körper wieder zusammenzusetzen – bis auf den Penis, den ein Fisch verschlungen hat. Isis kann ihn jedoch dank ihrer Zauberkraft durch ein Substitut ersetzen und empfängt den Sohn Horus, der später gegen seinen mörderischen Onkel um das Thronrecht kämpfen wird. Mit seinem Sieg wird er nicht nur zum rechtmäßigen Thronerben, sondern setzt für alle ihm nachfolgenden menschlichen Könige das Beispiel des liebenden Sohnes, der das väterliche Erbe ehrt und verteidigt und so zu einem würdigen Herrscher wird. Die zwei Gesichter der Zeit Das Zeitverständnis und -erleben der alten Ägypter unterschied sich offenbar grundlegend von unserem heutigen. Zwei unterschiedliche Konzepte formten das Weltbild und die Vorstellungen von Leben und Tod. Das erste bildet einen linearen Zeitverlauf ab, der unserem Zeitverständnis zumindest verwandt ist. Das zweite stellt eine zyklische Zeitvorstellung in den Mittelpunkt, die von einem kontinuierlichen Werden und Vergehen geprägt ist, die sich in kleinen ebenso wie in großen kreisförmig angelegten Zeitläuften manifestieren (Abb. 1).
Abb. 1 Das Zeiterleben im alten Ägypten kannte eine zyklische ebenso wie eine lineare Komponente. Auf den als „das Erste Mal“ bezeichneten Beginn der Schöpfung folgen in einer zyklischen Abfolge immer neue Schöpfungsmomente, so z. B. mit jedem neuen beginnenden Tag (rechte Bildhälfte). Diese zyklischen Abfolgen reihen sich auch für die alten Ägypter wahrnehmbar hintereinander, sodass eine vertikale Zeitachse entsteht. Diese ist jedoch in der altägyptischen Kultur zweitrangig und wird von der Bedeutung der zyklischen Strukturen überlagert (linke Bildhälfte). Augenfälligstes Beispiel für dieses Zeitverständnis ist die tägliche Tag- und Nachtfahrt des Sonnengottes.
Bemerkenswert ist, dass die alten Ägypter diese beiden unterschiedlichen Zeitvorstellungen offenbar konfliktfrei parallel zueinander pflegten. In den Originaltexten werden sie als nḥḥ und ḏ.t bezeichnet. Die abschließende Bedeutung der beiden Zeitbegriffe ist bis heute nicht verstanden. Unterschiedliche Autoren haben über die vergangenen Jahrzehnte verschiedene Vorschläge zum Verständnis gemacht, von denen die bekanntesten in Tab. 1 zusammengestellt sind.
Tab. 1 Leben zwischen zwei Ewigkeiten: Unterschiedliche Interpretationen der beiden Zeitbegriffe nḥḥ und ḏ.t.
Die Unterscheidung der beiden Zeitbegriffe unterstreicht die Bedeutung, die diese Größe für die alten Ägypter hatte. Passend dazu finden sich – unter Vorbehalt einer noch aufzudeckenden anderen Deutung – Anbindungen an die beiden definierenden Mythen des Pharaonenreiches (s. o.), den Sonnen- und den Osiris-Mythos (Abb. 2).
Abb. 2 Beispielhafte hieroglyphische Schreibweise der Begriffe nḥḥ (links) und ḏ.t (rechts). Interessant ist, dass in diesen Beispielen der Begriff nḥḥ mit dem Sonnensymbol (Mitte, gelb markiert) determiniert wird. Der Begriff ḏ.t hingegen ist mit einer Wasserlinie determiniert. Sofern darin ein Bedeutungshinweis verborgen ist, so scheint die nḥḥ-Zeit der zyklischen Bewegung der Sonne näherzustehen. Die ḏ.t-Zeit scheint hingegen dem resultativen Aspekt der Zeit, der mit der jenseitigen Welt (des Osiris) bzw. dem vor der Schöpfung liegenden uranfänglichen Chaos verbunden ist, zuzugehören.
Die alten Ägypter pflegten kulturell ein Primat des Todes über das Leben. Folgerichtig wurden z. B. die Häuser der Lebenden aus relativ schnell vergänglichen Lehmziegeln errichtet, die Tempelanlagen und Gräber (von den alten Ägyptern als „Häuser für die Ewigkeit“ bezeichnet) dagegen aus Stein. Mythologisch begründet ist dieses Primat durch die Zyklizität der Zeit, denn nach seinem Tod erfuhr der Verstorbene die Einbindung des Totenreiches, und damit seiner eigenen Existenz, in den Sonnenmythos (Abb. 3) und speziell die Nachtfahrt des Sonnengottes und damit in zyklische Struktur der Zeit. Das jenseitige Leben stellten sich die alten Ägypter als Spiegel des diesseitigen vor: Es mussten z. B. Felder bestellt und die Ernte eingebracht werden, doch die Verstorbenen konnten gewiss sein, dass die üppigen Felder des Jenseits stets reiche Erträge erbrachten. Mühsal und Ängste des Diesseits waren für den gerechtfertigten Verstorbenen im altägyptischen Jenseits unbekannt.
Abb. 3 Tag- und Nachtfahrt des Sonnengottes. In den Nachtstunden (grau hinterlegt) ereignet sich die Verjüngung und Erneuerung des Schöpfers (gelber Stern), zugleich erwachen die Toten in seiner Gegenwart zu ihrem jenseitigen Leben. Grafik: KL
Während die menschliche Sterblichkeit keiner Kultur fremd ist, bringt die Sterblichkeit der altägyptischen Götter als Konsequenz die Vergänglichkeit der Schöpfung mit sich (oder vice versa). Auch diesem Thema stellten sich die alten Ägypter, wenn auch vergleichsweise verhalten. Der Gedanke der Zyklik wird auch hier verwendet und fungiert als tröstliche Grundlage des Begriffes vom Weltende.
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